London

48 Stunden in London zu füllen, fällt nicht schwer… Mir zumindest nicht!

Schon 15 Minuten nach dem Einchecken im Hotelhabe ich einen Spaziergang im schönen Victoria/Westminster gemacht. Die Abendsonne war ein Traum (in Deutschland nennt man sowas neuerdings “tropische Nacht”)! Nach einem Cornish Pasty mit Gin Tonic (ich weiß, das passt nicht, aber mir war danach), waren die Reisestrapazen vollends vergessen.

Überall lief ich fröhlichen Menschen in die Arme, die London Pride (CSD) offenbar so richtig genossen haben. Nach einem kurzen Besuch bei Big Ben und der Feststellung, dass zum ersten Mal seit 1998 keine Demonstranten auf der Verkehrsinsel zu Füßen der Houses of Parliaments kampierten, traf ich im Bus auf dem typischen Engländer: sonnenverbrannt, angetrunken, höflich, redselig, etwas ungepflegt und Fussballfan! Die Inkarnation des Inselaffen-Klischees – wunderbar!

Am nächsten Morgen (Sonntag) saß ich schon früh in der Tube gen Norden: Ich hatte mir den Hampstead Rundgang aus dem reichhaltigen London Walks Angebot ausgesucht – und der startete nunmal um 10 Uhr! Was soll ich sagen? Wir hatten das perfekte Wetter für einen Ausflug aufs Land in der Stadt. Unser Guide Peter kennt das grüne, kuschelige und vor allem literatur-historisch nicht unbedeutende Viertel aus dem Effeff, hat er doch selbst 10 Jahre hier gelebt.

Wir lernen viel über die Promis, die sich in großer Zahl hier ihr ganz privates Refugium geschaffen haben, erwandern uns pittoreske Friedhöfe, bewundern geschichtsträchtige Pubs, bekommen einen Crashkurs in englischer Literaturgeschichte (Stichworte gefällig? Keats, Finding Neverland, Kipling, DuMaurier, Oscar Wilde usw.), und wandeln auf uralten Pfaden aus der Zeit der großen Pest und erleben zum Finale die jährliche Funfair in der Heath Street!

Nach fast zweieinhalb Stunden sind die Füße rund, die Tube ist vorübergehend gesperrt, also rein in den Bus und entspannt nach Aldwych: Twining’s war mein nächster planmäßiger Stop.

Leider war mein Besuch dort etwas enttäuschend, da man Sortiment auf Touristen umgestellt hat: Special Teas, wie den Vanilla Tea, gibt es nur noch selten, losen Tee nur noch in mehr als doppelt so teuren Geschenkdosen. Man empfahl mir, zu Sainbury’s zu gehen… Damit hat man erfolgreich eine jahrelange Tradition von mir beendet 🙁

Immerhin habe ich den besagten Lose-Blätter-Tee dann auch wirklich im Supermarkt erstanden. In Zukunft also direkt zu Sainsbury’s anstatt in den muckeligen, sehr lecker duftenden Teeladen ggü von Old Bailey 🙁

Schnell die Einkäufe (ja, gab noch etwas mehr als nur Tee) ins Hotel gebracht und auf ging’s nach Wembley Park, genauer gesagt ins berühmt-berüchtigte Wembley Stadium: Seit einem Dreivierteljahr habe ich mich auf dieses Konzert von Robbie Williams gefreut! Das letzte war vor einer halben Ewigkeit!

Und als Support Act war Olly Murs angekündigt – hätte schlimmer sein können 😉 Der Kleine hat ja durchaus Talent!

Der Weg von Wembley Park Station zum Stadion war schon beeindruckend. Lieber nicht daran denken, was das nach dem Konzert für ein Nadelöhr werden würde…

Ich war sicher eine der ersten im Stadion, aber ich mag die Atmosphäre sehr. Schon komisch wieviel kleiner die Fußballstadien wirken, wenn man Fernsehbilder und eigene Wahrnehmung vergleicht.

Die Wartezeit vertrieb ich mir mit dem ersten Pimms meines Lebens und einer völlig überteuerten Pizza.

Um 18 Uhr brachte ein hochmotivierter DJ das schon gut gefüllte Stadion zum Tanzen. Eine Stunde später schlich sich Olly Murs auf die Bühne und sorgte mit viel Charme, Augenzwinkern, toller Stimme und dem ein oder anderen effektvoll eingesetzten Hüftschwung für die ersten Jubelstürme. Neben seinem Hit “Troublemaker” und natürlich “Heart skips a beat” zeigte er 45 Minuten lang, was noch so alles in ihm steckt. Das Publikum spendete mehr als nur dankbaren Applaus.

Um 20.15 Uhr tauchte dann der Langersehnte Hauptakteur des Abends am oberen Bühnenportal auf. Unter ohrenbetäubendem Kreischen der überwiegend weiblichen Zuschauer seilte sich Robbie Williams höchstpersönlich aus ca. 18 m Höhe auf den Bühnenausleger ab. Um seine weitere Familienplanung braucht er sich wohl keine Gedanken zu machen, denn seine Kronjuwelen werden vermutlich bleibende Schäden davontragen 😉

Zur Begrüßung drehte er dem Publikum erstmal den Rücken zu und sprach die folgenden Worte Indie Kamera: “My name is Robbie Williams and for the next two hours your ass is mine!” Öhm, also, nun ja, ich mutmaße mal, dass einige seiner Fans das gern wörtlich nehmen würden…

Wie Robbie es später selbst sagte: “The Lord wants me to start with “Let me entertain you” and end a concert with “Angels”. Genauso geschah es. Ein akustisches, optisches und zum Finale auch pyrotechnisches Feuerwerk versetzte die laut Robbie knapp 63.000 Zuschauer in Ekstase! Okay, ich hab die 63.000 angezweifelt, da ja ca 1/3 der Plätze abgehängt und durch die Bühnenaufbauten verdeckt war, da aber unglaubliche 90.000 Zuschauer in Wembley Platz finden, hat Mr. Williams wohl recht. 🙂

Mit seinen 39 Jahren und nach sieben Jahren Bühnenabstinenz (Er verspricht, dass es nicht nochmal solange dauern wird, bis wir uns wiedersehen.) hat er nichts von seinen Entertainer-Qualitäten eingebüßt. Songs vom neuen Album, angereichert mit seinen Welthits, kurze, wunderbar eigenwillige Medleys und dazu rotzfreche Kommentare – genauso kennen und lieben wir ihn.

Ausgerechnet bei “Sin, sin, sin” drohte die Stimmung im Innenraum zu kippen: Ein Kreis bildete sich und minutenlang prügelten 2-3 Kerle heftig aufeinander ein. Es dauerte ewige 5 Minuten bis die sonst so gute englische Security das Problem erkannte und gewohnt ruhig und bedacht löste.

Robbie hat davon nichts mitbekommen (oder sich nichts anmerken lassen?) und schon kurze Zeit später war auch im Innenraum alles wieder gut.

Auch Olly Murs kam für “Kids”, das er mit Robbie im Duett sang, nochmal zurück auf die Bühne, ansonsten tobte sich Robbie aber allein aus. Seine Liveband unterstützte ihn großartig, auch wenn er manchmal recht eigenwillige Tempi wählte. Dass Robbie nicht jeden Ton perfekt trifft, verzeiht man ihm – spätestens als er Jenny aus Norwich aus dem Publikum auf die Bühne zieht und mit ihr ganz entspannt den nächsten Song inszeniert.

Robbie ist ein Selbstdarsteller erster Güte. Das abzustreiten, dürfte ihm schwer fallen, wird das Bühnenbild doch von seinem überdimensionalen Konterfei geprägt und vier verschiedene Variationen seines Kopfes fungieren als fahrbare und bespielbare Kulissen. Wirklich und ehrlich ganz ganz großes Kino!!!

Zum obligatorischen Finale fordert er die Unterstützung seiner weiblichen Fans ein, die ihm bei den hohen Passagen von “Angels” nur allzu bereitwillig helfen. Nachdem alle die Bühne verlassen haben, kehrt Robbie nochmal allein zurück und singt eine Strophe und den Refrain a capella – lautstark begleitet von zehntausenden glücklichen Fans. Während des letzten Refrains verlässt er still die Bühne und die Zuschauer singen den Song ohne ihren großen Helden zu Ende. Sehr berührend!

Dann machten sich mindestens 50.000 Zuschauer auf in Richtung Tube! Erfahrungsgemäß können die Engländer ja mit Menschenmassen umgehen und sich auch darin benehmen – doch ich hatte meine Zweifel…

Doch der Strom bewegte sich gleichmäßig Richtung Treppenaufgang. An der engsten Stelle hatte einer der Polizisten eine kongeniale Idee, um die Leute bei Laune zu halten: über ein Megafon spielte er – was sollte es anderes sein – “Angels” ein und Tausende stimmten ein und applaudierten sich selbst für ihre Text- und Melodiesicherheit. Cleverer und sicherlich sehr Popkonzertbewachungserfahrener Polizist!

Eines stand für mich schon während des Gigs fest: Nächstes Mal geh ich auch in den Innenraum – da ist Platz zum Tanzen und man wird nicht schief angeguckt, wenn man während des Konzerts vorrangig steht und nicht brav auf’m Stuhl sitzt…

Von den Ereignissen des Tages ganz beseelt, brachte ich eine weitere tropische Nacht in London hinter mich.

Montag morgen habe ich meinen geschundenen Körper zu Bewegung motiviert: Von versteckten Plätzen in Westminster über die Lambeth Bridge das komplette Südufer der Themse bis zur Towerbridge gelaufen, inkl. Abstecher zum Borough Market und ausgiebiger Sonnenpause vor Butler’s Wharf. Eigentlich wollte ich mit dem Boot zurück nach Westminster fahren, aber stattdessen habe ich das Flussufer gewechselt und bin den River Walk West entlang bis zum Somerset House gelaufen. Dort bin ich in eine Absolventenparty gestolpert – überall junge Menschen in Talaren – und schnell weiter Richtung St. Martin in the Fields. Dort gab’s den obligatorischen Apple Crumble 🙂

Den Weg über den Trafalgar Square musste ich streichen – wer ahnt denn auch, dass International Canada Day ist und der in London richtig groß mit Live-Bands, Fressbuden und allem Pipapo gefeiert wird?

Also schnell in meinen geliebten St. James’s Park, Füße hochlegen und ein paar Minuten entschleunigen, bevor es mit dem Bus Richtung Stansted ging.

In besagtem Bus konnte man dann das Aufeinanderprallen zweier unterschiedlicher Kulturen erleben: Ein lautstark lamentierender Italiener monierte die laufende Heizung, was bei nicht funktionierender Klimaanlage und Sonnenschein in der Londoner Rush Hour wirklich nicht schön war.

Die englische Busfahrerin setzte (nachdem sie den Bus gerade erst übernommen hatte und sich weder Heizung noch Air Condition regulieren ließen) mit Humor dagegen: “Hier in England freuen wir uns, wenn es endlich mal richtig warm ist!”

Recht hat sie ja, aber dass sie bei dem folgenden Gezeter und zahlreichen schlauen Tipps weiterer italienischer Fahrgäste (natürlich Männer!) so cool geblieben ist, war beeindruckend. Ich hätte verstanden, wenn sie den Rädelsführer kurzerhand auf die Straße gesetzt hätte. Dann hätte er zumindest reichlich frische Luft gehabt 😉

Das war das letzte Kapitel von 49 Stunden im Londoner Hochsommer 2013! Muss ich erwähnen, dass Sonntag mit 27.2 Grad Celsius ein Hitzerekord gemessen wurde? 🙂

Ich komme sicher bald zurück – dann auch gern etwas länger als nur zwei Tage…